Weniger ist mehr
Mit neurosensorischem Training beginnen Sie sehr behutsam. Ich weiß, dass das für viele Menschen nicht leicht ist – leben wir doch in einer Welt, in der am besten alles ganz schnell gehen soll und Erfolge gerne nur dann als solche anerkannt werden, wenn sie sich zügig einstellen. Die Maxime “viel hilft viel” ist weit verbreitet – und zugegebenermaßen auch ein Werkzeug, das Gewinne zu maximieren hilft.
Da Sie im Rahmen neurosensorischen Trainings über Ihr Bewusstsein Veränderungen an Ihrem autonomen Nervensystem vornehmen, hängen Ihre Fortschritte nicht von Ihrem Bemühen und nicht von Ihrer “Willenskraft” ab. Sie stehen und fallen vielmehr mit Ihrer Fähigkeit und Bereitschaft, anzunehmen, was ist und mit dem zu arbeiten, was Sie haben. Beim neurosensorischen Training geht es darum, in Ihrem Nervensystem neue “Datenautobahnen” anzulegen – denn nur dann kann Ihr ‘System’ auf bestimmte Reize bzw. in bestimmten Situationen anders reagieren als bisher. Neue “Datenautobahnen” anzulegen bedeutet, neue Nervenverbindungen wachsen zu lassen. So wie Gras aber nicht schneller wächst, wenn man daran zieht, wie ein afrikanisches Sprichwort sagt, gibt es im Hirn auch kein Synapsenfeuerwerk, das über das, was es sein kann, hinausgeht.
Die Rolle des Alters
Zu Beginn unseres Lebens – kurz vor der Geburt und auch noch einige Zeit danach – entstehen in unserem Gehirn pro Sekunde (!) mehrere Millionen (!) neue Nervenverbindungen. Mit zunehmendem Alter nimmt diese exorbitante Zahl immer mehr ab. Die gute Nachricht: Die Neubildung von Nervenverbindungen hört Zeit unseres Lebens nie auf.
Das bedeutet dennoch, dass sich Ihr Nervensystem mittels neurosensorischen Trainings umso schneller und leichter “umprogrammieren” lässt, je jünger Sie sind – und je weniger verborgene Traumata Sie mit sich herumtragen (ggf. ohne es zu wissen). Je älter Sie sind, je belasteter bestimmte Zeiten in Ihrem Leben waren – insbesondere in Ihrer Kindheit und Jugend – je “stressiger” und belasteter Ihr Alltag ist oder je höher die Wahrscheinlichkeit, dass Sie aus einer bestimmten, schlimmen Situation in Ihrem Leben “etwas mitgenommen haben”, desto “zäher” kann sich das Anlegen neuer “Datenautobahnen” gestalten.
Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.
afrikanisches Sprichwort
Je älter Sie sind und je öfter Sie gerade gedacht haben “das trifft auf mich zu”, desto mehr kann sich neurosensorisches Training als der “Missing Link” erweisen, der Ihnen hilft, alte Verhaltensmuster aufzubrechen und aus “Teufelskreisen”, aus denen Sie bislang trotz aller Bemühungen nicht herausgekommen sind, auszubrechen.
Mit neurosensorischem Training beginnen: Vertrauen Sie in Ihre ureigene Weisheit
Wenn Sie mit neurosensorischem Training beginnen, treten Sie in Kontakt mit Ihrer ureigenen Authentizität und Weisheit. Vertrauen Sie dem! Ihr ‘System’ weiß, was es mit dem, was Sie ihm im Zuge des Trainings anbieten, machen muss – und es wartet geradezu darauf. Ich habe das bei mir selbst ebenso erfahren dürfen wie bei meinen Klienten, ausnahmslos. Ganz gleich, wo ich oder sie gestartet sind: Irgendwann war die erste Schwalbe da und zeigte an, dass die Re-Organisation des Nervensystems Fahrt aufgenommen hatte. Manchmal fangen die Dinge dann an, zu galoppieren. Aber selbst, wenn sie das in Ihrem Fall nicht tun, bekommen Sie Rückenwind.
Der Spruch, dass der Weg das Ziel ist, könnte kaum zutreffender sein. Und sobald Sie den ersten Schritt gegangen sind, weiß Ihr ‘System’, dass der Ausgang vor Ihnen liegt.
Gibt es Nebenwirkungen, wenn Sie mit neurosensorischem Training beginnen?
Unter Umständen ja – wenn und falls Sie von Trauma betroffen sind. Da neurosensorisches Training dazu führt, dass Ihr ‘System’ Sinnesreize neu bewertet, stellt es im Verlauf des Trainings fest, dass eine ganze Reihe von Situationen, die es bislang autonom und von Ihnen nicht willentlich beeinflussbar als “gefährlich” bewertet hat, in Wahrheit gar nicht oder gar nicht so gefährlich sind. Das hat zur Folge, dass Ihr ‘System’ autonom und ohne ihr Zutun erkennt, dass “die Luft rein ist”. Es stellt dann die Überlebensmodi, in denen es sich “gewohnheitsmäßig” befindet, offline.
Befinden sich in Ihrem ‘System’ Erinnerungen, die mit Kampf-, Flucht- und Freeze-Zuständen verbunden sind und stecken diese Zustände “energetisch” noch in Ihren “Datenautobahnen” fest, beginnt Ihr Körper, diese alten Überlebensenergien zu deinstallieren. Wenn Sie sich das Video unter Vom Leben & Überleben angesehen haben, haben Sie so eine “Deinstallation von Überlebensenergien” beobachtet. Was bei dem Impala nach dem “Aufwachen” aus dem Freeze-Zustand aussah wie “Zittern”, ist in Wahrheit ein “abgebrochenes Weglaufen” (wie als wäre ein Sprung in einer Schallplatte) – jenes Weglaufen, das bei der Flucht vor dem Leopard erfolglos blieb.
Mit Nebenwirkungen richtig umgehen
Man kennt solches “Zittern” auch nach Operationen. Früher hat man es medikamentös unterdrückt, bis man feststellte, dass Patienten, bei denen das “Zittern” unterdrückt worden war, infolge der OP eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickelten. Man “behandelt” das “Zittern” deshalb nur noch oder bestenfalls mit einer kuscheligen Decke – damit die Überlebensenergien die Möglichkeit haben, aus dem ‘System’ zu entweichen.
Neben “Zittern” können insbesondere folgende Symptome davon zeugen, dass alter Überlebensstress im Rahmen neurosensorischen Trainings abgebaut wird:
- Kribbeln
- Schwitzen
- Zucken
- Herzklopfen
- Veränderung der Atemfrequenz
- Übelkeit
- Angst
- Schmerzen
- Schauer
- Schwindel
- Gähnen
- …
Die Liste ist nicht abschließend, und es ist auch keineswegs so, dass solche Symptome während der Übungen oder des inneren Spurenlesens auftreten müssen. Sie können “aus heiterem Himmel” auftauchen – aber eben nur, wenn und falls Ihre autonome Wahrnehmung (Neurozeption) Ihrem System aufgrund einer veränderten Bewertung von Sinnesreizen meldet, dass alles sicher ist.
Nebenwirkungen sind insoweit ein gutes Zeichen – sie zeugen davon, dass das Training funktioniert.
Verzichten Sie nicht auf Begleitung, wenn Sie mit neurosensorischem Training beginnen
Die erforderliche Langsamkeit und die möglichen Nebenwirkungen sind der Grund, warum ich empfehle, sich begleiten zu lassen, wenn Sie mit neurosensorischem Training beginnen. Ich ermutige Sie ausdrücklich, einen Arzt zu Rate zu ziehen, wenn Sie unsicher sind, woher bestimmte, plötzlich auftretende Symptome kommen, die zu Nebenwirkungen passen. Kann der Doc nichts feststellen, können Sie ziemlich sicher sein, dass Ihr Nervensystem mit seiner Re-Organisation beschäftigt ist. Dennoch gibt es “Erkrankungen”, die Ärzte bisweilen nicht richtig deuten – eben weil sie Ärzte und keine Biologen sind. Eines der eindrücklichsten Beispiele ist für mich immer wieder das sogenannte “Restless Legs Syndrom”, die “unruhigen Beine”. Ich selbst habe mittlerweile nur noch “unruhige Zehen” – als ich mit neurosensorischem Training angefangen habe, reichten mir meine “restless legs” bis hinauf zwischen die Schulterblätter.
Neurosensorisches Training ist mehr als “Wellness”
Aus dem Vorangegangenen ist ersichtlich, dass und warum es bei neurosensorischem Training nicht nur um eine weitere “Entspannungstechnik” geht. Neurosensorisches Training hat nichts mit “fühl dich einfach gut”, “tu dir was gutes” und ähnlichem zu tun – auch wenn es dazu führt, dass man sich über kurz oder länger “einfach besser fühlt” und sich absolut “Gutes tut”. Ich sage immer gern, dass neurosensorisches Training oft erstmal keine fluffigen Einhörner sorglos singend über Regenbögen tanzen lässt. Neurosensorisches Training kann im Einzelfall erstmal dazu führen, dass es einem scheinbar schlechter geht – eben so wie dem Impala im Video, als es aus dem todesnahen Freeze-Zustand zurück ins Leben kommt.
Weder Freeze-zustände, noch Kampf- noch Flucht-Zustände haben jedoch irgendetwas mit Leben zu tun. Leben beginnt, wenn wir überlebt haben. Und wenn uns das Überleben nicht mehr in den Knochen steckt. Oder besser: im System.