Was Neurozeption ist

“Neurozeption” beschreibt, wie unser autonomes Nervensystem – im Grunde unser Körper als eigenständiges, autonomes Wesen – Informationen aufnimmt und verarbeitet. Eine alternative Begrifflichkeit ist “autonome Wahrnehmung”. Wahrnehmen ist mehr als “bemerken”, auch wenn die beiden Worte umgangssprachlich häufig als Synonyme verwendet werden. Tatsachlich geht wahrnehmen über bemerken hinaus und ergibt sich aus der Synthese von Sinnesreiz und dessen Weiterverarbeitung innerhalb unseres Nervensystems. Unser Gehirn beherrscht dabei zwei verschiedene Arten der Weiterverarbeitung aufgenommener Sinnesreize: 

  1. Es kann logisch, rational und bewusst überlegen und willentliches Verhalten initiieren (‘seinen’ Verstand benutzen, Kognition).
  2. Es kann autonom und automatisch reagieren, ohne seine “denkenden Regionen” in die Verarbeitung der Sinnesreize und deren Bewertung einzubeziehen – und auf diese Weise unwillkürliches Verhalten herbeiführen (also solches, das von Wille und Verstand nicht beeinflusst werden kann).

Neurozeption: autonome Wahrnehmung im Dienste des Überlebens

In Sachen Neurozeption geht es darum, unser Überleben zu gewährleisten – speziell in den Fällen, in denen unser Verstand zu langsam wäre oder zu lange über eine angemessene Reaktion nachdenken würde. Wer schon einmal die Hand auf der berühmten heißen Herdplatte hatte, weiß, wie das System arbeitet. Basierend auf Neurozeption reguliert unser Gehirn über unser autonomes Nervensystem die Funktionen unserer inneren Organe. Zu diesen Organen gehören auch die zahllosen Drüsen und Gewebe, die die diversen Hormone und Neurotransmitter ausschütten, in denen die Informationen codiert sind, aus denen unser Verhalten resultiert – das beobachtbare wie das verborgene. Neurozeption liegt in diesem System bzw. Prozess permanent nach Signalen von Geborgenheit und Gefahr auf der Lauer:

  • in unserem Körper,
  • in unserer Umgebung,
  • zwischen uns und anderen Menschen und
  • zwischen uns und anderen Lebewesen.

Neurozeption beantwortet also die Frage „bin ich in diesem Moment sicher und geborgen oder bin ich in Gefahr?“. Über das autonome Nervensystem regelt unser Gehirn dann fein abgestimmt und austariert sämtliche Organfunktionen so, dass wir fähig sind, die jeweilige Situation mit den uns individuell zur Verfügung stehenden Ressourcen und Kapazitäten bestmöglich zu bewältigen – sprich: sie idealerweise zu überleben. Je größer aus der „Sicht“ dieses autonomen Systems eine wahrgenommene Gefahr ist, desto weniger lässt es zu, dass wir mit unserem Verstand einen Fuß in die Tür bekommen. Darauf ist auch das Phänomen zurückzuführen, dass wir unsere höchsten und besten Lern- und Verstandesleistungen dann erbringen, wenn wir uns nicht in irgendeiner Gefahr wähnen.

neurosensorisches Training - Rauchschwalbe sitzt auf Stromleitung

Irren ist menschlich – und auch Neurozeption kann sich irren

Wahrnehmung ist nicht die Wahrheit – nur das, was “wir” (unser ‘System’) für wahr nehmen. Entsprechend kann sich auch Neurozeption irren. Der Grund: Reaktionen, die uns (unserer Wahrnehmung nach) einmal das Leben gerettet haben, werden als Erinnerungen abgespeichert. Es gibt diesbezüglich 2 Arten von Erinnerungen:

  1. Explizite Erinnerungen sind bewusst und mit abrufbaren Bildern und Daten verknüpft.
  2. Implizite Erinnerungen sind “unbewusst” und nicht mit Daten und Bildern verknüpft. Implizite (auch “prozedurale Erinnerungen” genannt) sind Erinnerungen des Körpers. 

Körpererinnerungen werden bereits vor unserer Geburt generiert und nie vergessen. Unser Körper erinnert sich entsprechend an alles, was uns je widerfahren ist. Er speichert aber eben nicht die Wahrheit, sondern das, was er für wahr genommen hat – er macht gleichsam eine Momentaufnahme von allem und speichert diese ebenso wie seine Reaktion (denn die hat – nach seiner Wahrnehmung – sein Überleben gewährleistet). Wann immer die Neurozeption später Ähnlichkeiten mit einer früheren Situation meldet, die z.B. nicht sicher war, gehen automatisch Überlebensprogramme online – und veranlassen uns zu Verhalten, das wir uns nicht erklären können, das unangemessen ist, Probleme bereitet etc. Und oft nicht ohne weiteres “abgestellt” werden kann, eben weil es darauf beruht, dass in unserem System bestimmte Neurotransmitter und Hormone ausgeschüttet, Gefühle hervorgerufen werden. Diese zu unterdrücken löst das Problem nicht, denn das Unterdrücken von Gefühlen hat keinen Einfluss auf die Neurozeption. Es macht die Dinge im Laufe der Zeit nur schlimmer.

Mit neurosensorischem Training das Nervensystem reorganisieren

Neurosensorisches Training führt über das Praktizieren inneren Spurenlesens dazu, dass die Neurozeption – die autonome Wahrnehmung – neu justiert wird. Das ‘System’ deinstalliert aufgestaute, unverarbeitete Stressreaktionen und erwächst sich (sprichwörtlich) neue autonome Reaktionsmuster. Im Zuge der Neurozeption werden Sinnesreize dann anders bewertet, mit der Folge, dass frühere Belastungen nicht mehr als solche wahrgenommen werden. Die Überlebensprogramme unseres Nervensystems bleiben dabei einsatzbereit, gehen aber nicht mehr online in Situationen, in denen das Überleben tatsächlich nicht gefährdet ist. 

Mehr darüber lesen Sie unter Präsenz & Selbstregulation. Eine kleine Einstiegsübung ins neurosensorische Training steht Ihnen unter Inneres Spurenlesen zur Verfügung.